Samstag, 2. August 2014

Deutschland 1914: SPD und Erster Weltkrieg (I)

In Berlin war es nun die ganze Sorge der deutschen Regierung und ihres Kanzlers Bethmann Hollweg, die Verantwortung für die weitere Eskalation des Krieges in den Augen der Öffentlich­keit auf Russland abzuwälzen. Anders als Wilhelm II. sah Bethmann Hollweg die Notwendigkeit, auch die Führung der deutschen Arbeiterbewegung, also der SPD und der Gewerkschaften, in die deutsche Kriegspolitik mit einzu­binden, damit keine nennenswerte Opposition gegen den Krieg aufkommen konnte. Und nichts eignete sich dazu besser als russische Angreifer, gegen die man sich und die Kultur des Westens verteidigen musste, denn der russische Zarismus war in der deutschen Arbeiter­bewegung tief verhasst.
Dass die Entwicklung diesmal auf einen hand­fe­sten Krieg hinsteuerte, hatte in der SPD-Führung zunächst nur Hugo Haase erkannt. Am 23. Juli, nach Bekanntgabe des Wiener Ultimatums an Serbien, schloss sich die ganze SPD-Führung der Einschätzung Haases an. Doch Julian Marchlewski, ein Vertreter des linken SPD-Flügels, schrieb noch am 23. Juli in der »Sozialdemo­kratischen Korrespondenz«: »Von ernsthafter Kriegsgefahr ist augenblicklich sicher nicht die Rede.«[1]

Haase organisierte eine Kette von Friedens­kundgebungen in ganz Deutschland mit etwa 500.000 Teilnehmern – allesamt im Saale, denn Kundgebungen auf der Straße waren bereits verboten. Die Redner prangerten zwar den abenteuerlichen Kurs der österreichischen Regierung an, nicht jedoch das dahinterstehende Berliner Abenteurertum. Am 24. Juli fand im Gegenzug auch die erste antirussische Demonstration kriegslüsterner Kleinbür­ger vor der russischen Botschaft in Berlin statt. Diese Volksbewegung erwies sich im weiteren Verlauf als die stärkere.

Geschickterweise verzichtete die Regierung darauf, die in ihren Schubladen liegenden Pläne für die Herstellung des inneren Kriegszustandes durch­zuführen und alle SPD- und Gewerk­schafts­führer festzunehmen. Stattdessen empfing Unterstaatssekretär Drews am 26. Juli die Sozialdemo­kraten Haase und Otto Braun, um der SPD-Füh­rung mitzu­teilen, dass man ihre Friedens­kundgebungen dulden werde. Sie sollten aber dafür sorgen, dass die Redner offene Kritik an der deutschen Regierungspolitik vermieden, um den »Kriegshetzern in Russland« nicht in die Hände zu arbeiten. Drews versicherte den Sozialdemo­kraten, die deutsche Regierung sei am Erhalt des Friedens interessiert, werde aber eingreifen, wenn Russland einen Krieg provozieren sollte. Haase widersprach, wie er in seinem Tagebuch notierte, Drews‘ Einschätzung, dass ein von Österreich provozierter Krieg für Deutschland den Bündnisfall nach dem Dreibund-Vertrag auslöse.[2]

Zwei Tage später traf sich Reichskanzler Bethmann Hollweg mit dem SPD-Reichstags­abge­ord­neten Albert Südekum, um über ihn den SPD-Partei­vorstand im Sinne einer stillschweigen­den Unterstützung des deutschen Kurses zu beeinflussen. Südekum hielt noch am selben Tag Rück­sprache mit dem übrigen Parteivorstand und berichtete Bethmann Hollweg schriftlich, seitens der SPD seien – gerade im Interesse des Friedens – keinerlei Streik­aktionen gegen die Regierung geplant. Der SPD-Vorstand war offensichtlich tief beeindruckt, von Seiner Exzellenz, dem Reichskanzler persönlich, in einem so kritischen Moment deutscher Politik ins Vertrauen gezogen worden zu sein. Immerhin galten die Sozialdemokraten 1914 offiziellerseits noch als »vaterlandslose Gesellen«. Am 30. Juli berief sich Bethmann Hollweg in einer Kabinettssitzung auf den Brief Südekums und ver­sicherte seinen Ministern, von seiten der SPD seien keine Streikaktionen zu befürchten. Am nächsten Tag wurde mit dem »Zustand drohender Kriegs­gefahr« auch der Belagerungszustand im Innern erklärt; von da an waren sämtliche Anti-Kriegs-Kundgebungen verboten. Das zu diesem Zweck mobilisierte preußische Gesetz stammte aus dem Jahre 1851, richtete sich also ursprünglich gegen die bürgerlichen Revolutionäre von 1848.

Am 29. und 30. Juli trat in Brüssel das Internationale Sozialistische Büro zusammen, eine Art Vorstand der II. Internationale. Für die SPD waren Hugo Haase und Karl Kautsky, für die pol­nische Sozialdemokratie Rosa Luxemburg in Brüssel. Französische, britische und deutsche Sozialisten versicherten sich gegenseitig, dass ihre jeweiligen Regierungen keinen Krieg wollten.[3] Haase referierte, was ihm Unterstaatssekretär Drews zugesagt hatte. Auch bei den Sozialisten sah man also, ganz wie Bethmann Hollweg sich das vorgestellt hatte, den Schwarzen Peter bei den Russen. Rosa Luxemburg ahnte zwar besser als andere die Gefahr und bean­tragte, sofort einen außerordentlichen Sozialisten­kongress zur Kriegs­frage abzuhalten wie im No­vember 1912. Man beschloss, den für den 23. August in Wien geplanten regulären Kongress nach Paris zu verlegen, auf den 9. August vorzuziehen und die Kriegsfrage als ersten Punkt in die Tagesordnung aufzunehmen.

Doch auch die sonst so scharfsichtige Beobachterin erkannte nicht, was in Berlin gespielt wurde. Am 28. Juli schrieb sie in der »Sozialdemokratischen Korre­spondenz«, Österreich habe sein Ultimatum ohne Absprache mit der deutschen Regierung in die Welt gesetzt und zwinge jetzt seinen Verbündeten Deutschland, »sich gleichfalls in das Blutmeer kopfüber zu stürzen, sobald das verbrecherische Treiben Österreichs den russischen Bären auf den Kampfplatz wird herausgelockt haben. (...) Fragt man freilich, ob die deutsche Regierung kriegsbereit sei, so kann die Frage mit gutem Recht verneint werden.«[4] Ein verhängnisvoller Irrtum! Sie teilte jedoch nicht den Irrtum vieler SPD-Füh­rer, die glaubten: Die SPD dürfe deshalb nicht offen gegen einen deutschen Kriegseintritt auf­treten, weil nur eine »entschlossene« deutsche Haltung die russischen »Kriegshetzer« zur Räson bringen könne. Da setzte Rosa Luxemburg lieber auf den »entschlos­senen Friedenswillen« des russischen Proletariats. Mit dem war dann drei Jahre später tatsächlich eine Revolution zu machen.

Auszug aus dem Buchprojekt
"Deutschland von links: 1790-1990"
von Toni Kalverbenden



[1]     Zit. nach J. Kuczynski: Geschichte des Alltags IV, S. 454
[2]     D. Engelmann, H. Naumann: Hugo Haase. Berlin 1999, S. 24
[3]     Die Weltbühne 50/1918, S. 555 (J. Fischart)
[4]     R. Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin 1980, S. 477.

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