Mittwoch, 30. März 2011

Fukushima: War die Abschaltung der Atomkraftwerke irrational?

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle versuchte Ende März 2011 auf einer internen Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die Entscheidung der Bundesregierung, sieben deutsche Atomkraftwerke wegen der Katastrophe von Fukushima vorübergehend abzuschalten, vor den verständnislosen deutschen Industrie-unternehmern zu rechtfertigen. Er sagte laut Protokoll, das jemand dankenswerterweise an die Presse weiterleitete, sinngemäß: »Die Politik« (er meinte damit die Bundesregierung und die Landesregierung von Baden-Württemberg) sei wegen anstehender Landtagswahlen unter dem Druck von Wählern und deshalb gelegentlich zu »irrationalen« Entscheidungen gezwungen.
 Damit hat Brüderle mindestens zwei Fragen aufgeworfen: Unter wessen Druck steht die Bundesregierung, wenn sie gerade nicht oder kaum unter dem Druck der Wähler steht? Und was bedeutet Rationalität im Angesicht der Katastrophe von Fukushima?

Sonntag, 27. März 2011

Kritik des Sarrazin-Buches IV: Falscher Demographie-Alarm

Schon in der Einleitung (S. 13) betätigt sich Sarrazin als Nostradamus der Postpostmoderne: „…beim gegenwärtigen demographischen Trend wird Deutschland in 100 Jahren noch 25 Millionen, in 200 Jahren noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch 3 Millionen Einwohner haben.“ Mit der gleichen Methode, der sog. Trendfortschreibung, hat Mark Twain einmal „bewiesen“, dass der untere Mississippi in 742 Jahren nur noch 1,75 Meilen lang sein wird. In der Geschichte menschlicher Gesellschaften gibt es schon seit mindestens 300 Jahren keine Trends mehr, die man mit realistischem Ergebnis über 100 Jahre fortschreiben könnte, geschweige denn über 300. Eine einigermaßen seriöse Prognose würde sich auf maximal 30 Jahre beschränken, und auch dafür müsste sie, wie es z. B. die Klimaforscher machen, mehrere Szenarien durchrechnen, also eine große Bandbreite an möglichen Endergebnissen. Doch Sarrazin und Seriös sind, wie man hier sieht, offenbar verschiedene Dinge.
Im Kapitel 2 („Ein Blick in die Zukunft“) greift Sarrazin das Thema wieder auf und behauptet (S. 29): „Die Mehrbelastung aus der Alterung wird höher sein als die Entlastung durch weniger Kinder und Arbeitslose: Nach Berechnungen der Europäischen Kommission wird die altersabhängige Mehrbelastung für Rente, Gesundheit und Pflege bis 2060 etwa 5,5 bis 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, die Entlastung bei Bildung und Arbeitslosigkeit dagegen nur 0,7 Prozent betragen.“ Hier leistet sich der Mann der angeblich unwiderlegten Statistiken einen gravierenden Denkfehler: Weil er nur die staatlichen Aufwände im Kopf hat, ignoriert er die Hauptsache: die alltäglichen Konsumausgaben für Kinder und Jugendliche, die die Eltern aufbringen und erwirtschaften müssen.
Im Abschnitt „Altenlast“ (S. 36) „argumentiert“ Sarrazin tautologisch, d. h. er „begründet“ etwas mit sich selbst: Wenn die Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) je Einwohner, so schreibt Sarrazin, gleichmäßig auf alle Einwohner verteilt wird und es mehr Alte gibt, dann steigt auch „der Anteil der Altenlast am Sozialprodukt“, d.h. der Anteil am BIP, der auf die Alten entfällt. Mit anderen Worten: Wenn der Anteil der Alten an der Bevölkerung zunimmt, und man erhöht ihre Renten entsprechend der gestiegenen wirtschaftlichen Leistung der Gesellschaft, dann steigt auch der Anteil der wirtschaftlichen Leistung, der den Alten überlassen wird. Wer hätte das gedacht? Sarrazins Demagogie mit der Demographie steckt hier ausschließlich in einem kleinen Wort: „Altenlast“. Dieses Wort nimmt den älteren Menschen ihre Menschenwürde, ihre durch jahrzehntelange Arbeit sauer verdienten Rentenansprüche, den Wert, den sie z. B. als Großeltern für ihre Enkel haben, und reduziert sie auf eine ökonomische Last, eine Sache, eine lästige und überflüssige Sache.
Eine lästige Sache ist etwas, das man los werden will. Das Wort „Altenlast“ enthält eine angedeutete Drohung mit dem Massenmord.

Mittwoch, 2. März 2011

Guttenberg in der Sackgasse der Selbstinszenierung

Eins hat der damalige Verteidigungsminister Alkibiades zu Guttenberg am Ende doch erkannt, das es wert ist, hier festgehalten zu werden: Er hat die Sackgasse erkannt, in die er sich mit seiner beispiellosen Selbstinszenierung als Kriegsheld von Afghanistan, als smarter Durchgreifer vom Dienst, mit dem von ihm selbst systematisch organisierten Starkult hineinmanövriert hat.