Die da den Tod lieben: Auch Pazifisten haben Feinde. Konsequenzen nach dem Massenmord
von Madrid
»Ihr
liebt das Leben, und wir lieben den Tod.« Das hat ein angeblicher Sprecher der
Al-Qaida-Terroristen auf einem Video gesagt, auf dem er sich zum Massenmord von
Madrid bekannte. Eine ganz ähnliche Botschaft der Hamas über den entscheidenden
Unterschied zwischen israelischen Busfahrgästen und palästinensischen
Bombenmördern konnten wir bereits vor einigen Monaten lesen. Es ist
an der Zeit, dass sich deutsche und europäische Pazifisten Gedanken darüber
machen, wer ihre derzeit übelsten Feinde sind.
Endlich
ist die Erkenntnis auch in liberalen und friedliebenden Kreisen angekommen, zum
Beispiel in der ZEIT vom xx. März 2004: Wir haben es hier mit faschistischen
Massenmördern zu tun, die den Naziverbrechern in nichts nachstehen. Ihre erklärte
Liebe zum Tod wurzelt unmittelbar im europäischen, namentlich – welch’ blutige
Ironie der Geschichte – im spanischen Faschismus der 1930er Jahre, dessen
Vorkämpfer damals die Parole »Viva la muerte! – Es lebe der Tod!« pflegten. Erich Fromm nannte diese
Haltung in seinem Buch »Anatomie der menschlichen Destruktivität« nekrophil,
und der »klinische Fall eines nekrophilen Charakters«, den er dort analysiert,
ist Adolf Hitler.
Nur
wenige in unseren Kreisen haben bislang über die auffällige Parallele zwischen
den sog. Selbstmordattentätern und den japanischen Kamikazepiloten
des II. Weltkriegsnachgedacht.
Es wird höchste Zeit! Joseph Croitoru hat in seinem Buch »Der Märtyrer als
Waffe« darauf hingewiesen, dass das erste »Selbstmordattentat« in Israel 1972
von drei Japanern verübt worden ist. Hier liegt also eine weitere historische
Wurzel. Das äußerst militaristische und rassistische japanische Kaiserreich war
im II. Weltkrieg mit Nazideutschland verbündet und hat in China, namentlich in
Nanking, zahllose Massaker verübt, die typischen Nazimassakern (Babij Jar,
Lidice usw.) gleichen wie ein Ei dem anderen.
Als
italienische Neofaschisten 1980 den Bahnhof von Bologna in die Luft sprengten und 80 Menschen
töteten, gab es einen starken Konsens in der Einschätzung dieser Tat als
typisch faschistischen Massenmord. Linksextreme Terroristen, so sagte man
damals, ermorden einzelne Machthaber und Funktionsträger, allenfalls noch
Soldaten und Polizisten, aber niemals wahllose Passanten. Faschisten dagegen
tun genau so etwas. Ich halte diese Einschätzung nach wie vor für richtig. An
den Taten kann man erkennen, ob die Täter von sozialrevolutionären oder von
faschistischen Motiven getrieben sind.
Das Gedankengut
der Islamfaschisten geht
weitgehend auf den Ägypter Sajjid Qutb (1906-1966) zurück, den
ideologischen Stammvater der »Muslimbruderschaft«. Qutb (sprich: Kutúb) wollte
eine »muslimische Gemeinschaft« wiederherstellen, die angeblich 622-661 in
Medina bestanden habe, eine unauflösliche Einheit von Regierenden und
Regierten, die nach dem »göttlichen Gesetz« in Harmonie zusammenleben, zusammenarbeiten
und »Gehorsam« nur Gott schulden; man könnte auch sagen: eine Volks- und Glaubensgemeinschaft.
Diesen übermächtigen Wunsch nach totaler Harmonie und Gemeinschaft übernahm
Qutb ausdrücklich von dem französisch-katholischen Fundamentalisten AlexisCarrel (1873-1944) [nach Rudolf Walther: Die seltsamen Lehren des Doktor Carrel. Die Zeit 31.7.2003]. Die »Volksgemeinschaft« der Nazis, ihr
gebetsmühlenhaft gepredigter »Glaube« an den »Führer« und seine göttliche
»Vorsehung« - eine weitere Ausprägung des gleichen abscheulichen
Grundgedankens.
Es ist
Zeit, die gerade in linksliberalen und pazifistischen Kreisen übliche
Verharmlosung der Massenmörder unserer Zeit als verirrte »Märtyrer«, die
eigentlich das Richtige wollen, nur leider falsche Mittel dafür einsetzen, als
schlimme Fehleinschätzung zu verabschieden. Sie wollen keineswegs
das Richtige (siehe
Qutb). Auch der Begriff »Sebstmordattentäter« führt in die Irre, da er
verschweigt, dass es sich in erster Linie um Mörder handelt, um Massenmörder. Den
Opfern ist es gleichgültig, ob der Täter die Tat überlebt hat oder nicht. Insofern ist das Attribut
»Selbstmord-« von sekundärer Bedeutung. »Attentäter« ist ebenfalls irreführend,
denn unter einem Attentäter stellt man sich zunächst jemanden vor, der eine
einzelne Person ermordet hat: den Papst-Attentäter, den Kennedy-Attentäter, den
King-Attentäter, den Gandhi-Attentäter. Die Mörder, von denen wir jetzt
sprechen, haben aber Hunderte von Menschen getötet und Tausende ins Elend
gestürzt.
Das
Bild ist ein wenig jämmerlich, wenn erst 200 Westeuropäer in Westeuropa sterben
müssen, ehe sich diese Erkenntnis in Europa durchsetzt. Die vielen tausend
toten Israelis, Algerier, Kenianer, Argentinier, Amerikaner, Russen, Iraker
hatten nicht genügt.
Gut,
was folgt nun daraus? Was ist zu tun?
Jeder,
der jetzt noch mitten unter uns Verständnis für arabische, tschetschenische und
andere Massenmörder äußert, muss bitteschön sofort auf den entschiedenen
Widerspruch mehrerer anwesender Menschen stoßen. Das ist das Mindeste, zu dem
wir uns verpflichten müssen. Es geht nicht mehr hin, dass wir solches Gerede
schweigend hinnehmen. Schluss mit der Feigheit, mag sie sich auf »die neue
Unübersichtlichkeit«, »die Dekonstruktion aller Werte« oder die heilige
»kulturellen Vielfalt« berufen!
Die
andere Botschaft der Al-Qaida ist noch merkwürdiger. Sie
sagen zu uns: »Ihr liebt das Leben.« Erich Fromm nannte diese Haltung biophil und gründete
darauf seine ganze Hoffnung auf eine bessere Welt. Die Mörder haben uns ein
Kompliment gemacht, auf das wir stolz sein können. Ja, wir lieben das Leben –
und das ist gut so! Stärken wir das gegen das Böse, z. B. gegen den ekelhaften
Gewalt- und Todeskult in unseren Kinos.
Wenn unsere Liebe zum Leben uns nicht am Ende stärker macht als die
Todesfreunde, dann wäre der ganze Pazifismus doch das Papier nicht wert, auf
dem er sich zu verewigen pflegt.
Toni
Kalverbenden
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