Sonntag, 13. Januar 2013

Warum es dumm ist, Israel zu kritisieren

Jakob Augstein, Chefredakteur der Wochenzeitung der Freitag, hat Anfang 2013 den ca. fünfzigsten Antisemitismusstreit in der deutschen Linken losgetreten, indem er z. B. den Gazastreifen mit einem Lager verglichen hat - unter bewusster Anspielung auf die KZ-Lager der Nazis. Das löste heftige Reaktionen aus; u. a. bezeichnete das Simon-Wiesenthal-Center Augstein als einen der zurzeit schlimmsten Antisemiten der Welt. Ich greife aus dem weitgehend überflüssigen Komplex mal die so häufig gestellte Frage heraus, ob man "als Deutscher Israel kritisieren dürfe".
Der "Freitag" vom 10. Januar 2013 schlagzeilte mit der Frage: "Wie sehr darf man als Deutscher eigentlich Israel kritisieren?" Diese Frage ist wohl nicht unbedingt antisemitisch, aber sie ist meines Erachtens ziemlich dumm. Es gibt sehr viele Gründe, bestimmte Israelis zu kritisieren (z. B. Benjamin Netanjahu, Avigdor Lieberman, Ehud Barak). Es gibt auch Gründe, israelische Gruppen und Institutionen zu kritisieren (z. B. die Siedler, das Militär). Aber ich sehe keinen Grund, das Land Israel oder die Bevölkerung Israels als Ganzes zu kritisieren. Welchen Sinn soll das haben? Welchen Sinn hat es, Berlin zu kritisieren? Genauso gut könnte man den Atlantik kritisieren oder den Orionnebel.

Leider bediente auch der französische Journalist Olivier Guez, der im gleichen "Freitag" Augsteins Positionen klug kritisierte, das gleiche Missverständnis. Er schreibt die seltsamen Sätze: "Es muss möglich sein, Israel zu kritisieren. Das Land ist keine heilige Kuh." Ein Land ist zwar niemals eine Kuh - aber ein Stück Land zu kritisieren ist ähnlich sinnlos wie die Kuh zu kritisieren, die darauf grast. Was ist so schwer daran, den Bauern zu kritisieren, weil er schon wieder Gülle auf seinen Acker schüttet? Anscheinend erfordert es Mut und ein Minimum an Recherche, die Täter zu kritisieren. Für den Chefredakteur einer linken Zeitung sollte beides kein Problem sein. 

Ach so, es geht nicht um Land und Leute, sondern um den Staat, höre ich gerade. Die Israel-Kritiker kritisieren also den Staat, der so heißt. Aber was meinen sie damit? Das Staatsvolk? Das wären dann ja doch wieder die Leute, also alle Israelis auf einmal. Da kann ich nur vor warnen, denn wenn wir den kleinen Bibi (Netanjahu) in seinem Größenwahn bestärken, dass seine Meinungen identisch seien mit denen der knapp 8 Millionen Israelis, dann machen wir ihn stärker, als er ist. Was bitte soll das nützen? Oder meint ihr damit die Tatsache, dass ein Staat Israel überhaupt existiert? Aber dann, meine Freunde, seid ihr ziemlich nah dran am Antisemitismus (einer Form des Rassismus). Zumindest sprecht ihr dann den Israelis das Recht auf einen eigenen Staat ab - ein Recht, das ihr für euch selber, oder doch für die Zulu und Xhosa in Südafrika, vermutlich in Anspruch nehmt. Was bitte rechtfertigt diesen Unterschied?

Als Pazifist leiste ich mir eine Vereinfachung meines Lebens: Ich stecke israelische und palästinensische Kriegstreiber in die eine Schublade, israelische und palästinensische Pazifisten in die andere. Den Trick kann ich nur zur Nachahmung empfehlen: Die berühmt-berüchtigte deutsche Israel-Neurose habe ich auf diese Weise (wie ich glaube: elegant) umschifft. Jedenfalls fühlt sich mein Verhältnis zu israelischen Kriegstreibern nicht anders an als mein Verhältnis zu russ- oder tschetschenischen, kongo- oder singhalesischen Kriegstreibern: Ich hasse sie alle. Also wo ist das Problem?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen