Freitag, 5. Oktober 2012

Die Denkfehler der Mohammed-Karikaturisten



Das französische Satiremagazin Charlie Hebdo hat im September 2012 eine Reihe von Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, um zu demonstrieren, dass man sich von Morddrohungen islamistischer Terroristen nicht einschüchtern lasse. Diesem pubertärprovokativen Akt – dem die Nacktbilder unter den Karikaturen entsprechen – liegen drei Denkfehler zu Grunde: Es gibt keinen Grund, Mohammed zu karikieren. Die politische Stoßrichtung ist falsch. Der Vergleich mit Papst- und Jesus-Karikaturen ist verfehlt.

Erstens gibt es überhaupt keinen sachlichen Grund, die Person Mohammed zu karikieren, da es sich um eine historische Figur aus dem frühen Mittelalter handelt, die als Persönlichkeit im öffentlichen Leben westlicher Gesellschaften faktisch keine Rolle spielt. Stattdessen wäre es angemessen, zeitgenössische Politiker und Prediger des Islamismus zu karikieren und lächerlich zu machen. Die hätten es wirklich verdient, und die spielen wirklich eine Rolle. 
Übrigens war die bekannteste Mohammed-Karikatur von 2006, die mit dem Bombenturban, in Wirklichkeit eine Khomeini-Karikatur, die fälschlich als Mohammed-Karikatur verkauft wurde. Offenbar hatte der dänische Karikaturist gemerkt, dass ihm zu Mohammed an sich gar nichts einfällt, stattdessen aber viel zu einer anderen Person des 20. Jahrhunderts.

Zweitens ist die politische Stoßrichtung einer Mohammed-Karikatur falsch, weil sie gerade ein Thema aufgreift, das alle Muslime gemeinsam haben, statt ein Thema aufzugreifen, das die kleine gewalttätige Minderheit der Islamisten von der großen Mehrheit friedfertiger Muslime trennen würde. Es geht den Karikaturisten offenbar gar nicht darum, selber etwas über bestimmte Muslime auszusagen, sondern es geht ihnen - genau wie halbstarken Krachschlägern - nur um die Reaktionen, die sie damit auslösen. Insofern ist es eine Heuchelei, wenn sie sich auf die Meinungsfreiheit berufen. Um die Meiungsfreiheit nutzen zu können, braucht man zunächst eine eigene Meinung. Und um eine eigene Meinung über Mohammed haben zu können, müsste man zunächst etwas über Mohammed wissen.

Drittens ist der Vergleich von Mohammed-Karikaturen mit Papst- oder Jesus-Karikaturen, den der Chefredakteur Stéphane Charbonnier vorgenommen hatte, verfehlt. Der Papst ist eine Person des Zeitgeschehens und deshalb gut karikierbar; Mohammed dagegen ist eine historische Figur des Mittelalters. Jesus kommt zwar in Karikaturen vor, aber meist nur in einer Nebenrolle. Wenn man genauer hinsieht, beziehen sich Jesus-Karikaturen fast nie auf Jesus von Nazareth als historische Figur, sondern auf andere Jesus-Darstellungen, wie sie in unserer Gesellschaft nach wie vor ständig präsent sind. Karikiert wird also nicht Jesus, sondern (mehr oder weniger aktuelle) Jesus-Bilder. Bei Mohammed gibt es nichts Vergleichbares. 

Interessant ist am Rande: Charlie Hebdo hat das Mohammed-Thema ausgenutzt, um auf der Titelseite neben Mohammed auch die Karikatur eines orthodoxen Juden abzubilden, die die meisten antisemitischen Stereotypen der 1920er Jahre wieder aufleben lässt. Das ist schon eine ziemlich miese Tour – man sagt: »so etwas dürfen wir nicht zeigen«, und zeigt dann genau das, was man angeblich nicht zeigen darf. Und dann kommt gleich der Nächste hinterher und erklärt Blasphemie (oder Antisemitismus?) zur Pflicht.* Jeder, der sich nicht gehorsam in den Schützengraben des Kampfes der Kulturen einreiht und hetzt Karikaturen veröffentlicht, wird als pflichtvergessener Feigling und Verräter des Abendlandes gebrandmarkt.

*Yves Delahaie in Le Nouvel Observateur / Le Plus 19.9.2012.  In der Überschrift sagt er: "Blasphemie ist ein Recht - und sogar eine Pflicht."

Die dänischen Mohammed-Karikaturen von 2006. Darunter waren immerhin auch drei oder vier witzige. Hier mein Favorit:

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