...wenn das World Trade Center tatsächlich gesprengt worden wäre
Die sog. Kritiker der
weithin akzeptierten Erklärung der Ereignisse des 11. September 2001 berufen
sich gerne auf angeblich ungeklärte Fragen. Zum zehnten Jahrestag des Ereignisses brachten z. B. Elias Davidsson, Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann die Theorie auf, die Türme seien nur deshalb eingestürzt, weil sie (von der US-Regierung selbst) gesprengt wurden. Diese Theorie der „Kritiker“ wirft allerdings zahllose ungeklärte Fragen auf. Unter anderem die, welche Motive hinter dem Verbreiten solcher Theorien stecken könnten.
Dabei geht es um drei Komplexe:
1. War
eine Sprengung des WTC überhaupt organisatorisch möglich, und welchen Sinn
hätte sie haben können?
2. Sprechen
die angeblichen Indizien einer Sprengung, die Davidsson, Fikentscher und Neumann vorgelegt haben, tatsächlich dagegen, dass das
WTC wegen der eingeschlagenen Flugzeuge zusammenbrach?
3. Welche
politischen und sozialpsychologischen Motive könnten hinter der
Sprengungstheorie stecken?
War eine Sprengung des WTC organisatorisch möglich?
Wie hätte jemand unter den Augen und Ohren von rund 50.000
täglichen und teils auch nächtlichen Beschäftigten Tausende von Sprengladungen
in den 220 Stockwerken der beiden Gebäude anbringen und miteinander verkabeln
können, ohne dass wenigstens einer der Überlebenden das bemerkt hätte? Wie
kommt es, dass offensichtlich niemand der Überlebenden über merkwürdige Bauarbeiten
im Vorfeld berichtet hat?
Nach der Sprengungstheorie müssen Hunderte von Agenten an
der Vorbereitung des Ablaufs beteiligt gewesen sein. Wie kommt es, dass in zehn
Jahren kein einziger davon der Versuchung erlegen ist, sein Wissen an
Al-Jasira, Gaddafi oder Ahmadinedjad zu verkaufen oder an Wikileaks
weiterzugeben? Oder sich auch nur mal bei einer Freundin oder Hure verplappert
hat?
Der Einsturz der Gebäude folgte genau dem weitgehend zufälligen
Einschlagsort und der Einschlagszeit der Flugzeuge sowie der absolut zufälligen
Ausbreitung des Feuers in den Gebäuden: Der Nordturm z. B. wurde weit oben,
etwa in der 100. Etage, getroffen, und das Flugzeug schlug mit waagerechten
Tragflächen ein, weshalb sich das Feuer zunächst nur über wenige Etagen
ausbreitete. Deshalb hielt er fast eine Stunde länger als der Südturm. Der
Südturm knickte beim Einsturz genau über die Ecke um, die vom Flugzeug mit
schräg gestellten Tragflächen durchschlagen worden war und wo das Feuer die
meisten Etagen erfasst hatte. Wer außer einem bösen Gott hätte den Ablauf der
Sprengungen mit diesen zufälligen Ereignissen koordinieren können?
Welchen Sinn hätte die Sprengung haben können?
Oder besser gefragt: Welchen Sinn hätte die hoch riskante
Entführung von vier Flugzeugen noch gehabt, wenn jemand es tatsächlich
geschafft hätte, die WTC-Türme unbemerkt mit Tausenden von Sprengladungen zu
präparieren? In diesem Fall hätte es doch völlig ausgereicht, die
Sprengladungen einfach zu zünden, ohne Flugzeuge. Warum sollte jemand das
Risiko eingehen, dass die Flugzeug-Entführungen schon beim Einchecken scheitern,
dass die Flugzeuge abgeschossen werden, abstürzen wie in Shanksville oder ihr
Ziel verfehlen? Nur wegen der Medien? Auch ohne Flugzeuge hätte man den
Einsturz der Türme mediengerecht inszenieren können: Man ruft 15 Minuten vorher
das Fernsehen an und lässt dann vor den Kameras einen der Türme gegen den
anderen kippen. (Weiterer Vorteil: Man hätte nur einen der Türme präparieren
müssen.) Die angeblichen arabischen Täter, denen man den Massenmord in die
Schuhe schieben wollte, hätte man genauso gut in der Nähe des WTC beim
Vorbereiten der Sprengung filmen können, wie man sie beim Betreten des
Flughafens gefilmt hat. (Alles natürlich unter der Grundannahme der „Kritiker“,
die US-Regierung habe die Türme gesprengt.)
Sprechen Indizien für eine Sprengung?
Elias Davidsson hat sieben Indizien aufgeführt, die
angeblich für eine Sprengung sprechen:
1. Augenzeugen,
die Sprengungen gehört haben wollen;
2. der
Einsturz der Gebäude „fast im freien Fall“;
3. das
senkrechte Einstürzen der Gebäude;
4. die
Pulverisierung der Stockwerke und der meisten Leichen;
5. Spuren
eines Sprengstoffs, die man angeblich gefunden hat;
6. Lachen
von geschmolzenem Stahl in den Trümmern;
7. der
verspätete Einsturz des Gebäudes WTC-7.
Ad 1: Könnte das rhythmische Knallen, das die Augenzeugen
gehört haben, nicht das synchrone Platzen sämtlicher Scheiben des jeweiligen
Stockwerks gewesen sein, das gerade zerquetscht wurde? Könnten Explosionen in
den unteren Etagen nicht mit brennendem Kerosin zu tun gehabt haben, das durch
die Fahrstuhlschächte nach unten floss?
Ad 2: Beim Einsturz des zuerst getroffenen Nordturms konnte
man deutlich sehen, dass er oben zunächst langsam begann und sich dann immer
schneller nach unten fortsetzte. Spricht das nicht gerade gegen eine Sprengung? Bei einer gewöhnlichen Sprengung explodieren
alle Sprengsätze fast gleichzeitig, und immer explodieren die unteren zuerst,
um die Stabilität des ganzen Gebäudes zu zerstören.
Ad 3: Das senkrechte Einstürzen sieht in der Tat merkwürdig
aus, aber gerade nicht so wie eine
kontrollierte Sprengung. Lässt man bei der Sprengung eines Fabrikschornsteins
das Objekt nicht gewöhnlich schräg in eine vorgegebene Richtung kippen? Nicht
zuletzt, um sicher zu gehen, dass nicht ein Teil davon stehen bleibt.
Ad 4: Haben sich die „Kritiker“ klar gemacht, welch enormes
Gewicht auf den Stahlträgern in den brennenden und schließlich kollabierenden
Etagen des WTC lastete? Laut Wikipedia wurden in den Zwillingstürmen 200.000 t
Stahl und 325.000 m³ Beton verbaut. Letzterer wiegt ca. 780.000 t (2,4 t pro
m³). 80.000 t für das Fundament abgezogen, bleiben insgesamt 900.000 t
Material für die 220 Etagen der beiden Türme. Das sind 4090 t pro Etage. Der
Südturm wurde etwa in der 80. Etage getroffen. Darüber standen 30 Etagen; also
rd. 123.000 t Stahl und Beton. Dieses Gewicht lastete auf den Stahlträgern, die
durch den Kerosin- und Bürobrand von Minute zu Minute weicher wurden, bis sie
schließlich nachgaben. Was ist so verwunderlich daran, dass die kollabierenden
Etagen unter dem ernormen Druck der darüber befindlichen Gebäudemasse in
Sekundenbruchteilen zerquetscht und pulverisiert wurden? Wie hätten Leichen
und Büromöbel dieser Betonpresse standhalten sollen?
Ad 5: Selbst wenn tatsächlich Sprengstoffspuren im Staub von
Manhattan nachgewiesen wurden, was ich nicht überprüfen kann – woher wollen die
„Kritiker“ wissen, wo dieser Sprengstoff herkam? Könnte er sich nicht einfach
zufällig in einem der betroffenen Gebäude befunden haben und durch den Einsturz
frei geworden sein? Es gab 50.000 Arbeitsplätze im WTC und täglich 80.000
Touristen. Wer will wissen, was die alles dabei haben?
Ad 6: Die „Kritiker“ verweisen gerne darauf, dass brennendes
Kerosin Stahl nicht schmelzen kann. Warum vergessen sie, dass in den Gebäuden
nicht nur Kerosin gebrannt hat, sondern die gesamte Einrichtung – und das unter
starker Sauerstoffzufuhr, zum Teil noch angeheizt durch Kamineffekte? Wie
wollen sie ausschließen, dass dabei auch an einigen Stellen Temperaturen von
über 1500 °C entstanden sind, bei denen Stahl schmilzt? Und sprechen die
Lachen geschmolzenen Stahls in den Trümmern nicht gerade gegen eine plötzliche Sprengung und für die längere Einwirkung
eines Brandes? Wären bei einer Sprengung die Stahlträger nicht eher punktuell
zerrissen worden?
Ad 7: Welchen Sinn sollte es gehabt haben, eines der Gebäude
erst 8 Stunden später zu sprengen? Das hätte doch nur die Gefahr heraufbeschworen,
dass die Feuerwehr den Sprengstoff im Gebäude in der Zwischenzeit entdeckt. Dagegen
kann es gut sein, dass das Gebäude durch die starke Erschütterung beim Einsturz
des benachbarten Turms brüchig wurde.
Welche Motive könnten hinter der Sprengungstheorie stecken?
Warum laufen die „ungeklärten Fragen“ der „Kritiker“ fast
immer darauf hinaus, dass die US-Regierung hinter dem Anschlag stecken müsse? Könnte
nicht stattdessen auch die amerikanische Betonmafia dahinterstecken, die neuen
Beton für neue Wolkenkratzer verkaufen wollte? Oder Immobilienspekulanten,
die die Büroflächen in Manhattan knapper machen wollten? Oder Börsenmakler, die
lästige Konkurrenten los werden wollten? Warum interessieren solche potenziellen
Täter die „Kritiker“ offenbar nicht? Könnte das damit zusammenhängen, dass
diese Leute in ihrer Verblendung – unabhängig von allen „ungeklärten Fragen“ –
schon immer geglaubt haben, dass die US-Regierung und vor allem die CIA an
sämtlichem Unglück der Welt Schuld sei? Liegt dieser Verdacht nicht nahe, wenn
man die gleichen Leute (nämlich Fikentscher und Neumann) darüber spekulieren
liest, ob nicht auch das große Erdbeben in Japan im März 2011 von der US-Regierung
arrangiert worden sei? Und ist es wirklich abwegig, diese Verblendung ähnlich
zu finden wie jene auf Heinrich von Treitschke zurückgehende Parole: »Die
Juden sind unser Unglück«?
Es handelt sich bei der Sprengungstheorie natürlich um eine
klassische Verschwörungstheorie: Hinter einem allgemein bekannten Ereignis
steckt, so glauben die Vertreter solcher Theorien, eine geheime Verschwörung
einer mächtigen Institution, die damit ihre Macht absichern oder vergrößern
oder gar die totale Weltherrschaft erringen möchte. Die Mutter aller
Verschwörungstheorien war jene des Jesuitenpaters Augustin Barruel, der
glaubte, die Französische Revolution sei von Freimaurern oder Illuminaten in
geheimen Zirkeln von langer Hand geplant und eingestielt worden. Bis heute
spielen Freimaurer und Illuminaten in konservativen Verschwörungstheorien
eine wichtige Rolle. Was macht solche Theorien eigentlich für viele Menschen –
und sogar für linksgerichtete Gesellschaftskritiker – attraktiv?
Könnte das die Unlust sein, sich mit neu auftretenden
Kräften der Weltgeschichte auseinandersetzen zu müssen? Statt sich den Kopf
über bürgerliche Revolutionäre oder islamistische Fanatiker zu zerbrechen,
erscheint es doch viel einfacher und klarer, eine so altbekannte Institution
wie die Freimaurer oder die US-Regierung für Furcht erregende Ereignisse der
Gegenwart verantwortlich zu machen.
Könnte das die Unfähigkeit sein zu akzeptieren, dass der
Zufall, dass Einzeltäter oder kleine Gruppen in den Lauf der Geschichte eingreifen
können? Darauf deutet das Schicksal des Hitler-Attentäters Georg Elser hin.
Weder Hitler noch der Widerstandskämpfer Martin Niemöller konnten akzeptieren,
dass ein schwäbischer Schreiner ganz allein um ein Haar den mordenden Diktator
umgebracht hätte. Hitler war sich sicher, dass der britische Geheimdienst
dahintersteckte, und Niemöller war sich sicher, dass die Gestapo dahintersteckte.
Denn das waren Institutionen, die man kannte und einschätzen konnte. Wie
peinlich wäre es für den Diktator gewesen, von einem Handwerker zur Strecke
gebracht zu werden! Und wie peinlich für den organisierten Widerstand, dass
der mittellose Tüftler etwas geschafft hatte, das Generälen nicht gelungen war!
Während Konservative seit jeher nicht begreifen können, dass
revolutionäre Gedanken zuweilen unkontrolliert in vielen Köpfen entstehen, haben
Linke wohl eher eine Art Neidproblem mit Leuten wie Elser oder Gruppen wie
Al-Qaida. Da müht man sich viele Jahre lang vergeblich ab, um Einfluss auf die
Weltgeschichte zu nehmen, und dann kommt da so eine Gruppe aus dem Nichts daher
und tut es einfach. Das ist bitter. Und vor dieser bitteren Erkenntnis bewahrt uns
die Annahme, es sei in Wirklichkeit die allmächtige US-Regierung gewesen.
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