Donnerstag, 12. Juli 2012

Niebels Teppich und das Atom-U-Boot

Zwei deutsche Skandale wurden im Juni 2012 aufgedeckt:
Die Bundesregierung hat israelischen Offizieren ein U-Boot geschenkt – als Belohnung dafür, dass diese Offiziere seit Jahrzehnten einen ungerechten Krieg gegen die Palästinenser führen. Damit fahren sie jetzt ihre Atomwaffen im Mittelmeer und Roten Meer spazieren. Die 500 Mio. € Steuergelder für das U-Boot übergab die Bundesregierung den Gesellschaftern der Howaldtwerke Deutsche Werft.
Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) hat in Afghanistan für 1100 € einen Teppich gekauft und vergessen, diesen Teppich bei der Einfuhr nach Deutschland rechtzeitig zu verzollen. Dadurch wären, wenn der Skandal nicht von mutigen Journalisten aufgedeckt worden wäre, den rd. 60 Mio. deutschen Steuerzahlern ein Gesamtschaden von etwa 200 € entstanden.

Der U-Boot-Skandal löste in der von der Datenbank GBI-GENIOS erfassten deutschsprachigen Presse im Juni 2012 194 Artikel aus, Niebels Teppich kam auf 304. Also einige Millionen Mal mehr Aufmerksamkeit für jeden Teppich-Euro als für jeden U-Boot-Euro. Könnte es sein, dass 200-Euro-Skandale eigens inszeniert werden, um Presse und Öffentlichkeit von den 500-Millionen-Euro-Skandalen abzulenken?

Wenn ich in Diskussionen so etwas sage, ernte ich häufig Widerspruch. Ich frage dann die Diskutanten: was ist euch an dieser (wie mir scheint: lächerlichen) Teppichaffäre so wichtig? Die Antworten dann zum Beispiel: »Wir wünschen uns, dass sich unsere Politiker vorbildlich verhalten; schließlich werden sie von unseren Steuergeldern bezahlt.«

Dieses Argument steht, bei Licht betrachtet, auf schwachen Füßen; denn wenn Niebel seinen Teppich rechtzeitig verzollt hätte – wie hätte er dadurch zum Vorbild werden können? Die Sache wäre nie bekannt geworden, weil der Teppicheinkauf eines Ministers an sich überhaupt keine Nachricht ist. Mit einer Handlung, die niemandem bekannt wird, kann aber niemand zum Vorbild werden.

Und selbst wenn – Gegenfrage: Angenommen, es wäre dir doch irgendwie bekannt geworden, dass Entwicklungshilfeminister Niebel einen Teppich gekauft und ordentlich verzollt hat. Würde dich das wirklich dazu bewegen, künftig niemals mehr irgendwelche 1000 € Sondereinnahmen am Finanzamt vorbei zu schleusen? Alles was recht ist, aber das erscheint mir unwahrscheinlich.

Ist da nicht wahrscheinlicher, dass genau umgekehrt ein Schuh draus wird? Vielleicht sprechen die Leute deshalb so gerne über Politiker, die Steuern hinterzogen haben, weil man damit so prima den eigenen Steuer-Schmuh rechtfertigen kann? Aha! Meldet sich da mein geschätzter Schlauberger und Wadenbeißer zu Wort: es stimmt also doch mit dem Vorbild Politiker. Die Leute möchten, dass ihre Politiker vorbildlich korrupt sind.

Einen weiteren Unterschied will ich hier nur am Rande berühren: Dem U-Boot-Skandal liegt eine skandalöse politische Entscheidung zu Grunde, dem Teppich-Skandälchen dagegen ein privates Fehlverhalten. Sich um den U-Boot-Skandal zu kümmern, hieße, Politik zu machen – wer will das schon? Viel lieber beschäftigt man sich mit dem Privatleben einzelner Politiker und gibt sich vielleicht der Illusion hin, damit seine staatsbürgerliche Pflicht als kritischer Bürger erfüllt zu haben.



***
In der "Zeit" vom 24. Mai 2012 finde ich eine Bestätigung meiner These. Im Dossier diskutierten die Grüne Katrin Göring-Eckardt, Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und FAZ-Chefredakteur Frank Schirrmacher über den »Medien-Pranger«. 
Göring-Eckardt: »Sind wir denn nicht mehr bereit, die echten Krisen – Wirtschaftskrise, Währungskrise, Klimakrise – zu erkennen, weil wir nur noch in Echtzeit auf den Moment reagieren?«
di Lorenzo: »In der harten Aburteilung liegt vielleicht auch ein Stück Handlung. Gerade weil man uns Journalisten so oft vorwirft, wir seien verwechselbar geworden, wir hätten keine Meinung mehr, und weil es so schwer ist, bei den großen Problemen dieser Welt die Übersicht zu behalten, stürzen wir uns auf den Skandal Wulff oder die schlechte Amtsführung von Herrn Westerwelle. Da können wir endlich wieder klare Kante zeigen. Das führt zu dem grässlichen Eindruck, dass wir alle unter einer Decke stecken.«
Schirrmacher: »Man muss bedenken: Jeder Mensch ist heute ein Medium. Man ärgerte sich darüber, dass dauernd über Wulff berichtet wird, googelte aber ständig danach.«
die Lorenzo: »Das war eine Sucht: stündlich eine neue Wulff-Schandtat berichtet zu bekommen.«

2 Kommentare:

  1. Das ist schon Parkinsons Gesetz: über einen Fahrradständer für 1000 $ wird in der Vorstandssitzung Stunden diskutiert, über eine neue Investition von 1.000.000 $ nur 3 Minuten. Insofern nichts neues und keine finstere Absicht. Eine absichtliche Vernebelung ("Verniebelung ") müsste man schon n a c h w e i s e n!

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  2. Ich hab ja nur gefragt, ob es sein könnte, dass da was inszeniert wird. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass viele Journalisten sich offenbar lieber mit privaten Unregelmäßigkeiten von Politikern beschäftigen (oder gar mit Gerüchten über das Vorleben der Gattin eines ehemaligen Politikers) als mit schwierigen politischen Entscheidungen.

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