In der westfälischen Stadt *** haben landesweit bekannte Faschisten eine Demonstration für den 24. Dezember angekündigt. Sehr schnell hat sich ein großes Bündnis demokratischer Organisationen zusammengefunden, das mit mehreren Gegenkundgebungen den Faschisten den Weg in die Innenstadt, zum Weihnachtsmarkt versperren will. Einen Monat vorher wurde bekannt, dass drei Zwickauer Faschisten jahrelang deutsche Geschäftsleute mit türkischem oder griechischem Namen ermordet hatten. In einem philosophischen Gesprächskreis wurde die Frage aufgeworfen, woher wir die Sicherheit nehmen zu wissen, dass die Faschisten Unrecht haben, dass sie Unrecht tun, und dass wir also das Recht haben, sie an ihren Tätigkeiten zu hindern. Auf diese Fragen will ich hier eine vorläufige Antwort geben. (Bei Philosophens muss man ja vorsichtig formulieren.)
Bei Richard David Precht (»Wer bin ich und wenn ja, wie viele?«) habe ich gelernt, dass so etwas wie eine spontane moralische Intuition bei der Diskussion ethischer Fragen durchaus ihre Berechtigung hat. Mein eigener spontaner moralischer Impuls, eine Faschistendemo zu verhindern, speist sich wahrscheinlich aus zwei Quellen: Einmal fühle ich mich persönlich von demonstrierenden Faschisten bedroht. Meine Mottografik hier zeigt Carl von Ossietzky, weil ich diesen Mann und seine Texte bewundere und ihm nacheifere. Ossietzky wurde von deutschen Faschisten ins KZ-Lager gesperrt und dort zu Tode gequält. Warum sollten sie mit mir, einem aktiven Ossietzky-Anhänger, wesentlich gnädiger verfahren? Der zweite Grund ist die Tatsache, dass Faschisten gerne Schwächere verprügeln oder totschlagen: Flüchtlinge, Angehörige von Minderheiten, Obdachlose, Behinderte. Das löst bei mir automatisch den Reflex aus, diese Menschen vor den Faschisten zu beschützen.
Faschisten setzen auf das Böse im Menschen. Sie behaupten, der Mensch sei im Kern böse. Sie unterstellen zum Beispiel Geschäftsleuten mit türkischem Namen die Absicht, die deutsche Wirtschaft unterwandern und so in Deutschland die Macht übernehmen zu wollen. Wenn sie dann einzelne Geschäftsleute ermorden und viele andere in Angst und Schrecken versetzen, auf diese Weise vielleicht zum Aufgeben und zur Auswanderung veranlassen, rechtfertigen deutsche Faschisten das als Notwehr – oder einfach als böse Tat der richtigen Seite gegen die bösen Taten der falschen Seite.
Der österreichische Faschist Adolf Hitler formulierte sein Menschenbild 1924, 1932 und 1935 so:
- Wir müssen grausam sein. Wir müssen das gute Gewissen zur Grausamkeit wiedergewinnen. (1932)
- Wir müssen unser Herz verschließen und hart machen. Wer über diese Weltordnung nachgedacht hat, ist sich klar, daß ihr Sinn im kämpferischen Durchsetzen des Besten liegt. (1924?)
- Wir sind entschlossen, ein neues Geschlecht heranzuziehen. Es ist ein hartes Geschlecht, das wir ersehnen. (1935)
Faschistische Thesen wie diese sind leicht zu widerlegen. Wenn ich »böse« im Sinne von Erich Fromms Kategorie der Destruktivität definiere als lebensfeindlich, d.h. dem Leben einzelner Menschen wie auch dem Leben insgesamt gegenüber feindlich gesonnen, kann ich sagen: Wenn es stimmen würde, dass das harte, grausame, lebensfeindliche Element dominiert, gäbe es schon lange keine Menschen mehr. Sie hätten sich gegenseitig ausgerottet. Wenn das Böse jene Kraft ist, die andere Lebewesen töten und das Leben auf der Erde vernichten will, dann hätte es in dem Moment gesiegt, wenn es keine Menschen und kein Leben auf Erden mehr gibt. Solange das nicht der Fall ist, ist der Faschismus im Kern widerlegt.
Übrigens stützte Fromm seine Theorie der Destruktivität stark auf eine Bemerkung des spanischen Philosophen Miguel de Unamuno. Dieser war während des Spanischen Bürgerkrieges 1936 mit einem faschistischen Offizier konfrontiert, der den Kampfruf »Viva la muerte!« (»Es lebe der Tod!«) ausstieß. Unamuno nannte diese paradoxe Parole spontan »nekrophil«, also Leichen liebend. Als Mensch, der die Menschen liebt, solange sie lebendig sind, muss ich Menschen, die Leichen lieben, entgegentreten.
Auch wenn ich als böse den Willen eines Menschen definiere, die totale Macht über alle anderen Menschen zu erringen (ohne diese deshalb gleich töten zu wollen), ist die faschistische These widerlegt; denn dann, wenn das Böse in diesem Sinne dominierte, hätte ja längst ein Mensch diese Macht errungen – spätestens seit es Atombomben gibt. In Wirklichkeit war aber noch nie ein Mensch auch nur nahe daran. Hitlers Versuch scheiterte bereits Ende 1941 in England und kurz vor Moskau.
Ich kann es auch historisch betrachten: Wenn die Nazis es geschafft hätten, das Leben auf der Erde in einem Atomkrieg zu vernichten, dann hätten sie Recht behalten. Haben sie aber nicht. Die Entscheidung fiel 1945, und sie fiel gegen die Faschisten. Seitdem ist endgültig klar, dass die Faschisten Unrecht hatten und haben. Seitdem ist klar: Wer das Leben auf dem Planeten bewahren will, muss den Faschismus bekämpfen und den Faschisten den Weg versperren.
Zum Schluss noch drei Hitler-Zitate speziell für Philosophen:
- Der Deutsche hat keine blasse Ahnung, wie man das Volk beschwindeln muß, wenn man Massenanhänger haben will. (1924)
- Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten. (1932)
- Die Kunst wirklicher Volksverführer hat zu allen Zeiten darin bestanden, die Aufmerksamkeit des Volkes immer auf einen einzigen Gegner zu konzentrieren. [Dabei] ... zählt der Wahrheitsgehalt nicht gegenüber dem Erfolg. (1924)
Philosophen sind Freunde der Weisheit und der Wahrheit. Faschisten sind Freunde der Dummheit und der Lüge.
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