Dienstag, 14. Dezember 2010

Wird Wikileaks überschätzt?

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat verschiedenen, nicht ganz ohnmächtigen Leuten eine Art Krieg erklärt. Viele Wikileaks-Anhänger wundern sich jetzt, dass die Betroffenen sich wehren und zum Gegenangriff übergehen. Besonders übel stieß der sog. Internet-Gemeinde auf, dass Amazon, Visa, Paypal & Co. versucht haben, Wikileaks finanziell auszutrocknen. Derweil meinen manche Beobachter, Wikileaks mache den traditionellen Journalismus überflüssig. Sie dürften sich täuschen.



Mathias Bröckers, Spezialist für Verschwörungstheorien ("Der 11. September war eine CIA-Aktion"), wunderte sich in Telepolis darüber, dass New York Times, Guardian, Monde und Spiegel dazu nicht viel gesagt haben - obwohl sie zuvor mit großem Hallo die angeblichen Enthüllungen von Wikileaks abgefeiert haben. Er erklärt sich die Zurückhaltung damit, dass die Journalisten vielleicht befürchten, die Hacker von Wikileaks könnten sie überflüssig machen und das komplette Programm öffentlicher Enthüllungsskandale, also die Kernkompetenz der Medien, selbst übernehmen.

Doch Bröckers dürfte sich täuschen; Totgesagte leben auch hier vermutlich länger als gedacht. Denn ohne Journalisten, die aus 500.000 veröffentlichten, weit überwiegend belanglosen Dokumenten die wenigen Stellen herausfiltern, über die es sich aufzuregen lohnt, ist das ganze Wikileaks-Gebäude nichts wert.

Das könnten zwar theoretisch auch Blogger tun, aber die Erfahrung zeigt bislang, dass sie's eher nicht tun.* Was wir über Wikileaks-gestütze Enthüllungen inhaltlich gelesen haben, das haben wir aus der von Bröckers geschmähten "Edelfeder" bezahlter Journalisten gelesen. Übrigens stammt auch der vielzitierte Botschafter-Tratsch über Teflon-Merkel, den eitlen Guido oder den Alpharüden Putin samt und sonders aus der Presse. Die Botschafter haben einfach nur nachgeplappert, was sie zuvor in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gehört hatten.

Insgesamt aber muss ich zugeben, dass mich das Phänomen Wikileaks und die Hackerszene ratlos hinterlässt. Sicher ist es gut, wenn Hintergründe der Kriege in Irak und Afghanistan aufgeklärt werden. Doch dann kommt mir das Ganze wieder mehr wie ein Sport vor, bei dem Hochmut und Ruhm allzu sehr im Vordergrund stehen; das Gefühl, die Welt erschüttert zu haben, egal womit. Es erinnert ein wenig an Regietheater.

*Irgendwo habe ich gelesen, die Dokumente sollten jetzt von der Hackerszene per "Schwarmintelligenz" analysiert werden. Es würde mich wundern, wenn dabei was herauskommt (bitte belehrt mich per Kommentar eines Besseren). Erstens ist das Verfahren schrecklich ineffizient, weil tausende von Leuten sich dann stundenlang mit irrelevanten oder veralteten Texten herumschlagen. Zweitens funktioniert Schwarmintelligenz dann, wenn 20 Leute sich mit einem (wichtigen) Dokument beschäftigen; aber nicht, wenn eine Nase sich mit 20 Dokumenten beschäftigen muss, von denen 19 irrelevant sind. So aber dürfte das reale Zahlenverhältnis nach meiner unmaßgeblichen Schätzung in etwa aussehen.

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